Wieder erklingen die alten Klagelieder – CDU-Fraktionschef Günter Bächle schaut zurück auf die Verwaltungsreform und verweist auf die Verheißungen von damals

Was blieb von den Vorteilen der Verlagerung der Zuständigkeiten von Land (Sonderbehörden) und Landeswohlfahrtsverbänden im Jahr 2005 auf die Landkreise? Denn nun ertönen wieder die alten Klagelieder wie weiland vor dieser Verwaltungsreform. Legte sich der Hebel um oder war er trotz Verlagerung in der alten Position geblieben und niemand hat es gemerkt?



Herrn Landrat
Bastian Rosenau
Landratsamt Enzkreis, Pforzheim

  1. Januar 2023

Lieber Herr Rosenau,

was blieb von den Vorteilen der Verlagerung der Zuständigkeiten von Land (Sonderbehörden) und
Landeswohlfahrtsverbänden im Jahr 2005 auf die Landkreise? Denn nun ertönen wieder die alten
Klagelieder wie weiland vor dieser Verwaltungsreform. Legte sich der Hebel um oder war er trotz
Verlagerung in der alten Position geblieben und niemand hat es gemerkt?

Die Diskussionen im Kreistag zum Haushaltsplan 2023 um die Eingliederungshilfe für behinderte
Menschen und die Finanzierbarkeit der Hilfen über 2023 hinaus sind berechtigt und notwendig. Genauso wie die Frage der Beteiligung des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales (KVJS) an Pflegesatz-Verhandlungen mit Einrichtungsträgern im Auftrag und an Stelle des Enzkreises, wobei ich hier auf die Schreiben des Caritasverbandes Pforzheim an die Fraktionen des Kreistags verweise.

Mehrmals wies ich in den Debatten auch im Sozial- und Kulturausschuss des Kreistags daraufhin, dass
2004 den Gremien die Auflösung der beiden Landeswohlfahrtsverbände (LWV) Württemberg-
Hohenzollern und Baden von den Landräten schmackhaft gemacht worden sei mit der Ankündigung, die Entscheidungen würden dann vor Ort durch Kreistag und -verwaltung getroffen, die Gremien hätten eine wirksamere Steuerungsmöglichkeit auch hinsichtlich der Kosten. Wenn wir die aktuelle Diskussion verfolgen, entsteht der Eindruck, als seien wir bei der Eingliederungshilfe ganz und gar nicht in der Steuerungsposition.

Manchmal hilft die Suche im Archiv, für die ich der Geschäftsstelle des Kreistags dankbar bin, denn das Ratsinformationssystem reicht von den digitalisierten Beständen hier nicht ganz so weit zurück.
Der Kreistag beschloss am 8. März 2004 (Vorlage 7-1/04), Punkt 2g:

„g) lm Zusammenhang mit der Auflösung der Landeswohlfahrtsverbände ist eine stärkere finanzielle
Beteiligung des Landes an den steigenden Kosten der Eingliederungshilfe unverzichtbar. Der
Soziallastenausgleich ist so zu regeln, dass ein verstärkter finanzieller Anreiz zur Schaffung
kostengünstiger Angebote besteht.“

In der Vorlage selbst heißt es: „Für den Enzkreis ist ein spürbar erhöhter Finanzierungsbeitrag des Landes unverzichtbar, bis für die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Eingliederungshilfe durch ein
bundesfinanziertes Leistungsgesetz, für dessen Erlass sich das Land einsetzen soll, eine andere Grundlage zur Finanzierung geschaffen wird.“

Zudem sei grundsätzlich auch eine erweiterte Aufgabenübertragung vom Landratsamt auf Gemeinden möglich. Der Kreistag verlangte zudem grundsätzlich eine umfassende Aufgabenkritik, die unmittelbar nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahren nachgeholt werden müsse.
Im Protokoll der Kreistagssitzung vom 8. März 2004 wird bei Top 3 (S.12 und 13) Stellungnahme zum
Reformgesetz Kreisrat und MdL Winfried Scheuermann mit der Aussage zitiert, Der
Landeswohlfahrtsverband werde in den Landkreis eingegliedert und der Kreistag habe damit in diesem Bereich das volle Mitsprachrecht habe.

Der Beschluss wurde einmütig bei einer Gegenstimme getroffen.
Am 13. Dezember 2004 (Vorlage 93/04) ging es erneut um die Verwaltungsreform, speziell um die
Anwendung der Richtlinien zur Eingliederungshilfe. Ohne weitere Diskussion nahm der Kreistag Kenntnis von der Empfehlung des Landkreistages über die vorübergehende Anwendung der Richtlinien des Landkreistages Baden-Württemberg über die vorübergehende Anwendung der Richtlinien des Landeswohlfahrtsverbandes Baden zur Eingliederungshilfe und der Gefährdetenhilfe. Laut Landräte-Rundschreiben Nr. 61/2004 bis längstens 31. Dezember 2005. Der Landkreistag hat mit Schreiben vom 25. Juni 2004, Az. 63.420.43 He/Fr folgendes ausgeführt:

„Mit der Auflösung der Landeswohlfahrtsverbände und Herabzonung der sachlichen Zuständigkeit für die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen auf die örtlichen Sozialhilfeträger verlieren die Richtlinien der Landeswohlfahrtsverbände ihre Gültigkeit“. Auch das bestätigt, was auch in der Beilage 25/2007 zur Kreistagssitzung am 21. Mai 2007 – eine Zwischenbilanz nach der Reform - in Punkt 5 Zusammenfassende Bewertung steht: „Die Verwaltungsreform war notwendig und sinnvoll. Durch die Bündelung der Zuständigkeiten im Landratsamt konnte ein einheitliches Verwaltungshandeln und auch mehr Bürgernähe erreicht werden.

Die Verlagerung der Verantwortung für soziale Leistungen, insbesondere der Eingliederungshilfe,
erleichtert die Entscheidungsabläufe, ermöglicht passgenaue Hilfen und dämpft damit die
Kostensteigerung erheblich. Auch die mit der Reform erwartete Effizienzrendite kann erwirtschaftet
werden. (...) Die vom Land mit der Reform angekündigte aber bisher nicht stattgefundene Aufgabenkritik muss baldmöglichst durchgeführt werden.“

Dazu in der gleichen Vorlage zum Tagesordnungspunkt Evaluierung der Verwaltungsreform, Abgabe
einer Stellungnahme des Enzkreises, bei Punkt 2 Umsetzung des Enzkreises, Absatz 2:
„Auch die Verlagerung der sozialen Aufgabenfelder auf die Landkreise hat zu einem qualitativ besseren Angebot geführt. Mit individuellen Hilfsangeboten, insbesondere für behinderte Menschen, gelingt es mimmer mehr, den Bedarf passgenau zu decken und gleichzeitig den Kostenanstieg deutlich zu verringern.“

Für mich ist nicht erkennbar, dass sich inzwischen im System etwas geändert hat, und trotzdem werdenwir im Teilhaushalt Sozial mit Steigerungsraten bei den Transferausgaben konfrontiert, die Sorgen bereiten – trotz allgemein guter wirtschaftlicher Lage. Der Enzkreis bezahlt derzeit knapp eine Million Euro an den KVJS, der eigentlich nur für Restaufgaben überörtlicher Art der aufgelösten Landeswohlfahrtsverbände zuständig sein soll. Für den Soziallastenausgleich bringt der Enzkreis aktuell 2,4 Millionen Euro auf. Beide Positionen wurden bei den Etatberatungen nicht hinterfragt.
Bleiben wir zunächst bei den Schalmaienklängen der damaligen Landesregierung und der Landräte.
Meiner Meinung nach muss bei der aktuellen Debatte weiter zurückgegangen werden als nur bis zur
Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes 2016. Nach meiner Erkenntnis fehlt bis heute die 2007 vom Kreistag nochmals eingeforderte Aufgabenkritik. Hat sich bei den Steuerungsmöglichkeiten seit
2005/2007 zum Nachteil unseres Haushaltes etwas geändert, genauer verschlechtert? Wie veränderte
sich der Finanzierungsbeitrag des Landes bei der Eingliederungshilfe? Gibt es den damals geforderten
verstärkten finanziellen Anreiz zur Schaffung kostengünstiger Angebote?

Meiner Meinung nach muss diese Entwicklung bei der Suche nach Möglichkeiten der Etatentlastung und der Einhaltung des Konnexitätsprinzips einbezogen werden. Zum KVJS: Die örtliche Ebene ist der Souverän in der Hilfeplanung und Ausführung der Maßnahmen der Eingliederungshilfe. Das geht aus den Begründungen zur Auflösung der Landeswohlfahrtsverbände – wie belegt – klar hervor.
Ich stelle nicht in Abrede, dass sich die örtliche Ebene der fachlichen Unterstützung zum Beispiel des
KVJS bedienen kann, aber die örtliche Ebene entscheidet. Dieser Aspekt sehe ich eklatant verletzt, wenn der Enzkreis dem KVJS die Pflegesatzverhandlungen so überlässt wie einstens dem LWV-Baden. Die seinerzeitige Reform war überraschend vom damaligen Ministerpräsident Erwin Teufel auf den Weg gebracht worden. Sein Credo auch aus christlicher Überzeugung heraus ist gewesen, dass die
kommunalen Körperschaften mehr Verantwortung für ihre alten und behinderten Menschen
übernehmen.

Die Sozialdezernentin des Enzkreises, Frau Kreeb, beklagte vor einiger Zeit zurecht, der Kreisverwaltung stünden keine personellen fachlichen Ressourcen für diesen Bereich zur Verfügung. Der juristische spezielle Sachverstand sitze auch in Form von Personen auf der anderen Seite.
Nach meiner Kenntnis gibt es Städte und Kreise in Baden-Württemberg mit eigenen
„Pflegesatzverhandlern“. Damit soll auch sichergestellt werden, dass die Entgelte die Struktur vor Ort
eher abbilden. Ein partnerschaftliches Miteinander ist eher von gegenseitigem Vertrauen, gemeinsamer Suche nach der besten Lösung im Interesse der betroffenen Menschen und dem unbedingten Willen zur Vereinfachung/Verschlankung der verwaltungstechnischen Strukturen geprägt. In dieser Hinsicht gibt es viel zu tun.

Die Landkreise Karlsruhe und Konstanz führen Verhandlungen komplett ohne KVJS; dieser unterschreibt, wenn ich richtig unterrichtet bin, auch die Vereinbarungen nicht.
Weitere Kreise haben eigene Pflegesatzverhandler (Stabsstellen, Abteilungen) angestellt, die in den
Verhandlungen vom KVJS unterstützt werden bzw. diese auch allein mit den Kassen führen und der KVJS die Vereinbarungen nachträglich zeichnet: Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald, Landkreis Lörrach, Ortenaukreis und Rhein-Neckar-Kreis.

Bei der dritten Gruppe sind bei Pflegesatzverhandlungen Amtsleiter der Altenhilfe oder Sozialamtsleiter aktiv mit eigener Meinung und Einschätzung in der Verhandlung beteiligt: Städte Freiburg, Baden-Baden und Karlsruhe sowie die Landkreise Emmendingen und Rastatt. Sinnvoll wäre es, hier deren Erfahrungen einzuholen und zu prüfen, ob die Möglichkeit und Bereitschaft bestehen, zusammen mit dem Stadtkreis Pforzheim sowie den Landkreisen Calw und Freudenstadt ein regionales Kompetenzzentrum aufzubauen auch auf Kosten unserer Umlagehöhe an den KVJS.
Dies sind einige Gedanken und Vorschläge, die ich auch für die Fraktion in die weiteren Beratungen
einbringen möchte, ohne gleich einen Antrag zu stellen. Es ist eben ein Vorteil von Kreisräten, die schon länger im Gremium sind, die Frage zu stellen: Da war doch mal was...

Herzliche Grüße
Günter Bächle

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